header

09.05.2021 - 6. Sonntag der Osterzeit - Als der liebe Gott die Mutter schuf, machte er bereits den sechsten Tag Überstunden. Da erschien der Engel und sagte: „Herr, ihr bastelt aber lange an dieser Figur!“

Der liebe Gott sprach: „Hast du die speziellen Wünsche auf der Bestellung gesehen? Sie soll pflegeleicht, aber nicht aus Plastik sein; sie soll 160 bewegliche Teile haben; sie soll Nerven wie Drahtseile haben und einen Schoß auf dem mehrere Kinder gleichzeitig sitzen können, und trotzdem muss sie auf einem Kinderstuhl Platz haben. Sie soll einen Rücken haben, auf dem sich alles abladen lässt; und sie soll überwiegend in gebückter Haltung leben können. Ihr Zuspruch soll alles heilen, von der Beule bis zum Seelenschmerz; sie soll sechs Hände haben.“ Da schüttelte der Engel den Kopf und sagte: „Sechs Paar Hände, das wird kaum gehen!“ „Die Hände machen mir keine Kopfschmerzen“, sagte der liebe Gott, „aber die drei Paar Augen, die eine Mutter haben muss.“ „Gehören, die denn zum Standartmodell?“ fragte der Engel. Der liebe Gott nickte: „Ein Paar, das durch geschlossene Türen blickt, während sie fragt: Was macht ihr denn da drüben? - obwohl sie es längst weiß. Ein zweites Paar im Hinterkopf, mit dem sie sieht, was sie nicht sehen soll, aber wissen muss. Und noch natürlich zwei Augen hier vorn, aus denen sie ein Kind ansehen kann, das sich unmöglich benimmt, und die trotzdem sagen: Ich verstehe dich und habe dich sehr lieb, ohne dass sie ein einziges Wort spricht.“

„O Herr!“ sagte der Engel und zupfte ihn leise am Ärmel, „Geh schlafen und mach morgen weiter.“ „Ich kann nicht“, sagte der liebe Gott, „denn ich bin nahe dran, etwas zu schaffen, das mir einigermaßen ähnelt. Ich habe bereits geschafft, dass sie sich selbst heilt, wenn sie krank ist; dass sie eine ganze Schar Kinder mit einem winzigen Geburtstagskuchen zufrieden stellt; dass sie eine Dreijährige davon überzeugt, dass Knete nicht essbar ist; einen Sechsjährigen dazu bringen kann, sich vor dem Essen die Hände zu waschen und übermitteln kann, dass Füße überwiegend zum Laufen und nicht zum Treten erdacht waren.“

Da ging der Engel langsam um das Modell der Mutter herum. „Zu weich“, seufzt er. „Aber zäh“, sagte der liebe Gott energisch. „Du glaubst gar nicht, was diese Mutter alles leisten und aushalten kann!“ - „Kann sie denken?“ „Nicht nur denken, sondern sogar urteilen und Kompromisse schließen“, sagte der liebe Gott, „und vergessen!“ Schließlich beugte sich der Engel vor und fuhr mit einem Finger leicht über die Wange des Modells. „Da ist ein Leck“, sagte er. „Ich sagte ja, ihr versucht zu viel in das Modell hineinzupacken.“ „Das ist kein Leck“, sagte der liebe Gott, „das ist eine Träne.“ „Wozu ist sie?“ „Sie fließt bei Freude, Trauer, Enttäuschung, Schmerz, Verlassenheit. Die Träne“, sagte er, „ist das Überlaufventil.“

(frei nach Erna Brombeck: Als der liebe Gott die Mutter erschuf)

Einen gesegneten Sonntag wünscht Ihnen allen – und in besonderer Weise natürlich allen Müttern
Ihr Diakon Alexander Fuchs

­